ÐÔÊÓ½ç

Postkästen vor einer Wand mit buntem Graffiti von Pilzen und Pflanzen.

#8

Welcome to ÐÔÊÓ½ç #8

KW 16/2021

Die bildenden Künste, die darstellenden Künste, Musik - das alles war bereits Thema unserer gemeinsamen Runden durch ÐÔÊÓ½ç. Doch wir haben uns bisher nur am Rande der Literatur gewidmet. 
Wenn wir uns auf eine Reise zu den literarischen Seiten der Hauptstadt begeben, kommen wir natürlich nicht vorbei an Alfred Döblins Hauptwerk „ÐÔÊÓ½ç Alexanderplatz“.

Der Roman, der den Untertitel „Die Geschichte vom Franz Biberkopf“ trägt, gilt als einer der wichtigsten Beiträge zur Literatur der deutschen Moderne und als eines der Hauptwerke im Genre des Großstadtromans. 1929 im erstmalig erschienen, begleitet Döblin den Arbeiter Franz Biberkopf, der sich nach seiner Entlassung aus der Haft im ÐÔÊÓ½ç der Zwanziger Jahre verliert, abgleitet in eine Welt aus Verbrechen und Verrat. 
Der Text wird heute noch für seine innovative Sprache und Erzählstruktur gelobt und wird im Zuge dessen oft in Verbindung gebracht mit James Joyce „Ulysses“ und John Dos Passos´ „Manhattan Transfer“. 

Es gibt zahlreiche Theater- und Hörspieladaptionen, sowie drei Verfilmungen. 
1931 spielte Heinrich George die Hauptrolle, während die zweite filmische Adaption 1979/80 durch Rainer Werner Fassbinder auf ganze 13 Episoden einer Fernsehserie kam. Erst letztes Jahr entstand die neueste Version von Regisseur Burhan Qurbani, der die Handlung ins heutige ÐÔÊÓ½ç verlegte. 
Lassen Sie sich vom doch einen ersten Eindruck geben.

Einer, der sich mit den neuen Zwanziger Jahren und somit dem ÐÔÊÓ½ç von heute beschäftigt, 
ist Joab Nist. Seit über zehn Jahren sammelt er mit seiner Kamera „“,&²Ô²ú²õ±è;
also alle möglichen öffentlich ausgehängten Zettel, Mitteilungen und Botschaften. 
Treffender könnte der Geist dieser Stadt kaum beschrieben werden, als durch diese teilweise sehr emotionalen, oft witzigen, manchmal berührenden Zeugnisse unserer sozialen Gefüge. 
Dank Social Media ist der gebürtige Münchner mittlerweile nicht mehr allein und bekommt Hilfe von vielen, die ÐÔÊÓ½ç besuchen oder hier leben. 
Und mit „“ und „“ wächst die charmante Zettelwirtschaft weiter und weiter. 
Ein Blick auf die Website und die verschiedenen Foto-Kollektionen lohnt sich wirklich. 
Wenn Sie aber lieber analog lesen, gibt es dazu jetzt auch eine Möglichkeit dank 
„l“. So ganz klassisch in Buchform.

Genauso wenig aus dem aktuellen Stadtbild wegzudenken, sind die Sprüche auf den knallorangefarbenen Mülleimern der ÐÔÊÓ½çer Stadtreinigung (BSR). 
Obwohl wir uns hier ebenfalls eher im Bereich der Alltagslyrik befinden, wollten wir Ihnen diesen, für Sie vielleicht auch vertrauten Anblick nicht vorenthalten. Es gibt wohl eher selten Abfallbehälter, die einen nostalgisch an den letzten Wochenendtrip denken lassen. 
Der lohnt wirklich einen Blick. 
Frei nach ihrem Motto „We kehr for you“ haben diese „Kehrenbürger“ noch einige andere Kampagnen lanciert, die es viel schöner für uns machen, wenn wir mal wieder im Stau stehen, 
weil wir hinter einem „Kehrrari“ fahren.

Vom waschechten Street Poetry Slam kommen wir nun zu gedruckter Poesie. 
Der versteht sich als Independent Verlag, der nicht nur das Neue fördert, sondern sich auch sozial engagiert. So geht der komplette Gewinn des Bandes „“ an die ÐÔÊÓ½çer Obdachlosenhilfe. 
Die erste Auflage ist bereits ausverkauft.

Lassen Sie uns jetzt nochmal zurückkommen auf die literarischen Wurzeln der Stadt. 
Von Erich Kästner berichteten wir Ihnen ja schon auf unserem Spaziergang durch Schöneberg und Wilmersdorf. 
Auch Bertolt Brechts Wirkstätte, dem ÐÔÊÓ½çer Ensemble, sind wir bereits begegnet. 
Sein berühmtestes Stück, „Die Dreigroschenoper“, entstand in der Spichernstraße, unweit des weltbekannten Kurfürstendamms. 

Doch wussten Sie, dass auch Anna Seghers, Autorin der Romane „Transit“ und „Das siebte Kreuz“, sowie ehemalige Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR, in ÐÔÊÓ½ç lebte? 
Auch ihre Werke wurden Opfer der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten 1933. 

Robert Musil schrieb seinen „Mann ohne Eigenschaften“ in einem Haus direkt am Ku´damm. 

Die Gedichte von Arzt und Lyriker Gottfried Benn hingegen sind für viele mit empfindlichem Magen nicht unbedingt empfehlenswert. Für alle Freunde einer eher dunklen Symbolik aber sicherlich ein Muss. Einige davon wird er an seinem Wohnort in der Bozener Straße geschrieben haben, im Herzen des Bayerischen Viertels.

Vermittlung der Literaturen der Welt nimmt sich bereits seit 1986 dasvor. 
Als erstes seiner Art deutschlandweit, bietet das Li-Be als öffentlich geförderte Kultur- und Bildungseinrichtung Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen für die Großen und Kleinen. 
Und, kleiner Tipp für nach dem Lockdown: die Plätze des Cafés im wunderschönen Garten sind nicht zuletzt wegen der fantastischen Tartes fast immer komplett besetzt. 
Sein Glück zu versuchen lohnt sich trotzdem. 

Auch die digitale Mediathek des Literaturhauses lässt sich sehen. Mehrsprachige Kurse für junge LeserInnen wechseln sich ab mit kostenlosen Videostreams. 
Vielleicht ist ja „“ am 29.04., 19 Uhr, interessant für Sie? 
Die stadtweite Lesereihe mit Texten von AutorInnen, die nicht auf Deutsch schreiben, lädt diesmal Hila Amit und Ali Abdollahi ein. Es wird Texte in hebräischer, persischer, englischer und deutscher Sprache geben (immer auch mit deutschen Übersetzungen), moderiert von Schriftsteller Martin Jankowski.

Nun begeben wir uns zurück in unseren Kiez. 
Das Aufbauhaus am Moritzplatz beherbergt den, 
der dem Haus seinen Namen gegeben hat. 

Gegründet 1945, um dem Land nach Zusammenbruch des Dritten Reichs geistige und kulturelle Orientierung zu geben, verlegte der Aufbau Verlag keine geringeren als Hans Fallada, 
Lion Feuchtwanger oder oben genannte Anna Seghers. Er engagierte sich von Anfang an für jüdische und im Exil lebende AutorInnen und wuchs schnell zum bedeutendsten belletristischen Verlag der DDR heran. Als solcher ist der Aufbau Verlag einer von sehr wenigen, die die Wiedervereinigung Deutschlands überlebt haben. Mehr noch, heute gilt der Verlag immernoch als wichtige Quelle internationaler sowie nationaler Romane und Sachbücher, die nicht nur gedruckt, sondern auch als Hörbücher erscheinen. 

Da wir uns jetzt nur noch 500m entfernt von unserem eigenen Literatursalon befinden, verabschieden wir uns für heute und verschwinden für möglichst viele Stunden zwischen den Seiten. 

Dabei haben wir ein Zitat eines anderen großen ÐÔÊÓ½çer Schriftstellers im Kopf. 
Kurt Tucholsky sagte einmal: 
„Lasst uns das Leben genießen, solange wir es nicht begreifen.“

TO BE CONTINUED...